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Was macht eigentlich ein Creative Coder?
Berufsbilder bei Serviceplan
Zugegeben: Agenturen sind dafür bekannt, dass sie eigensinnige Titel in ihren Stellenangeboten ausschreiben und noch weniger allgemein verständliche Bezeichnungen auf ihre Visitenkarten drucken. Nicht selten schütteln Branchenfremde oder die Elterngeneration mit dem Kopf, wenn sie lesen, was da hinter dem Junior/Senior oder vor dem Director steht. Deshalb wollen wir Licht ins Dunkel bringen. In loser Reihenfolge beleuchten wir in den kommenden Wochen ungewöhnliche Titel und stellen die Profile dahinter vor.
Wir fangen mit dem Creative Coder an und schnappen uns Ret Lauterbach, Technical Director bei Plan.Net Technology, und Stephan Enders, Head of Innovation Studio bei der Plan.Net Gruppe, die uns hoffentlich erklären können, was sich dahinter verbirgt.
Ret Lauterbach & Stephan Enders
Auf wie vielen Visitenkarten steht bei uns im Haus der Kommunikation die Funktion Creative Coder?
„Auf wenigen – ehrlich gesagt. Für uns beschreibt der Titel eher ein gesuchtes Skill Set als eine konkrete Funktion“, gibt Ret unumwunden zu. „Wir sprechen (auch) von Creative Codern, wenn jemand unterschiedliche Skills miteinander vereint; vor allem Programmier-, Design- und Konzeptionsfähigkeiten“, ergänzt Stephan.
Die fachsprachliche Definition der Uni Bayreuth ist eine weitere: „Creative Coding bezeichnet den Umgang mit Programmiersprachen und Code als Gestaltungsmittel für die mediale Produktion. Dies steht gerade nicht in der Bemühung, Software-Entwicklung als Ingenieur-Disziplin zu begreifen, sondern gruppiert Praktiken, die als bricolage, tinkering oder hacking (im ursprünglichen Sinn) bezeichnet werden können.
Direkt im Anschluss machen sie noch den Schlenker zur Kunstproduktion, was sich gut nachvollziehen lässt, wenn man Joshua Davis zu- und die Schimpfworte überhört.
Aber kehren wir zurück zur gelebten Agenturrealität: Die Wurzeln von Creative Coding liegen irgendwo zwischen Design und IT, da sind sich Ret und Stephan einig. Befeuert durch den App Hype Ende der 2000er und offene Schnittstellen von iOS und anderen Systemen, waren plötzlich die infrastrukturellen Voraussetzungen da, um eigene Projekte mit diesem Skill Set anzugehen. Konzept, Code und Design waren für viele Entwickler keine unvereinbaren Gewerke mehr. Ganz dem Start-up-Gedanken verpflichtet, entstanden in iterativen und agilen Prozessen großartige Projekte, die sich nicht um Disziplingrenzen scherten.
„Irgendwo stieß man bei der Animation oder bei After Effects immer an Designgrenzen. Statt tausend Layern und Millionen Vektor-Punkten bediente ich mich lieber Flash und Coding. Man lernt beim Tun. Codes, Rules, Boundaries, SVG, Processing sind für Creative Coder, was für andere Stift und Papier ist – Ausdrucksmittel und Handwerkszeug gleichermaßen“, fasst Ret zusammen.
Problemlösung statt Lastenheft
„Eine ordentliche Portion intrinsische Motivation für das Machbare ist essenziell“, betont Stephan. „Design-Skills sind wichtig, auch Grundlagen in Usability sind relevant sowie konzeptionelle Denke – aber letztlich sind es die iterativen Prozesse und der latente Wunsch, noch mehr rauszuholen und damit für eine maximale Qualität zu sorgen.“
„Der schönere Code wird immer vom IT-Fachmann kommen“, wirft Ret ein. „Aber um schnell zu einem guten Ergebnis zu kommen, reicht ein pflegbarer Code.“
Mal eben zeigen, was geht. Schnell zu einem ersten Ergebnis kommen. Agile Prozesse, Design Thinking und Permanent-Beta sind Begrifflichkeiten, die auch in unserem Gespräch über Creative Coding nicht fehlen dürfen. „Creative Coding steht in keinem Lastenheft. Es geht eher um Problemlösung in einem oftmals durchaus schlanken Team“, meint Stephan schmunzelnd, und in der Tat sind es vielfach die Freelancer/One-Man-Shows, die mit IT- oder Design-Background mal eben zeigen, was geht.
Aber auch im Agenturkontext weichen die Grenzen auf und multidisziplinäre Teams kommen zu überraschend effizienten, kreativen und gleichsam pragmatischen Lösungen:
Wichtiger als eine spezielle Ausbildung – wie zum Beispiel Multimediadesigner – ist das fachliche Wissen und das richtige Mind Set: Offenheit für andere Disziplinen und die Begeisterung für alles Digitale. Ret bestätigt: „Open Source, das Publizieren eigener Codes und ein diffuser Crowd-Spirit-Teamgedanke prägen die Szene. Man tauscht sich regelmäßig aus und will lernen, um schneller und vor allem effizienter an sein Ziel zu kommen. Inspiration kommt dabei aus den unterschiedlichsten Disziplinen. Automotive-Design kann zu einem Interface inspirieren, genauso wie Dev Confs (Developer Conferences, Anm. d. Redaktion) niemanden davon abhalten, durch einen Bildband zu blättern.“ „Mehrwertorientierte Produktentwicklung und ‚Advertising as a Service‘-Ansätze“, ergänzt Stephan, „setzen wir in multidisziplinären Teams um.“ Es geht also um mehr Austausch und weniger Fachgrenzen; geeignete Köpfe statt schicke Funktionen. Menschen, die gedanklich Silos einreißen, gestalten mit uns die Zukunft. Und genau das zeichnet Creative Coder aus.
Hierzu passen vergangene Projekte mit zum Beispiel weinenden Eisbergen oder briefeschreibenden Verstorbenen:
Becoming fluent
„Programmieren wird zukünftig wie schreiben“, postuliert Stephan für die Zukunft. „Zumindest in Grundzügen, um unsere digitalisierende Welt besser zu verstehen.“ Dieser Kompetenz – „Not just read, but write the digital world“ – fühlen sich mittlerweile auch viele Bildungsangebote verpflichtet, die von Code-Classes für Grundschüler bis zu e-Learning-Programmen reichen. „Digitale Kompetenz ist die Grundvoraussetzung, die uns zukünftig Mehrwerte liefert und uns nachhaltig und verantwortungsvoll mit Technologie umgehen lassen wird.“
Ret ergänzt: „Schauen wir uns allein an, was IBM mit Watson und BMW miteinander im Hinblick auf künstliche Intelligenz und autonomes Fahren schaffen – da lässt sich absehen, dass wir alle bald mehr können müssen, als unseren Videorekorder zu programmieren, um aktiv und selbstbestimmt zu leben.“
Creative Coder
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