Martin Oisterschek

Innovation Director, Serviceplan Middle East

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Halt, bitte noch nicht umblättern, auch wenn Sie zu wissen glauben, was der Begriff „digitaler Handel“ bedeutet – wahrscheinlich ist es nicht das, was Sie denken. Er ist sicher mehr als ein Point-of-Sales-Poster durch einen Screen auszutauschen. Und ganz sicher übersteigt er die Ansammlung von verfügbaren Technologien, die den digitalen Handel überhaupt ermöglichen. Warum? Weil digitaler Handel am Ende immer noch „Handel“ ist, ein physischer Raum, in dem tatsächliche Kundeninteraktion stattfindet.

Digitaler Handel bedeutet ein verbessertes Kundenerlebnis in der Verkaufsstelle. Das kann beispielsweise in Form einer aktuell sehr populären Virtual Reality Erfahrung stattfinden, es kann durch Gamification geboten werden, es kann auch ein Online-Kauf im Offline-Shop sein oder ein buchstäblich begehbarer Online-Store. Schauen wir uns diese Beispiele im Detail an.

Virtual, Augmented oder Mixed Reality ist der Trend und kann verwendet werden, um zukünftige Kollektionen vorzustellen. Im Geschäft kann die Technologie für virtuelle Anproben genutzt werden – sei es, um unterschiedliche Farbpaletten und Texturen vorzustellen oder sogar Lichtsituationen zu simulieren, um herauszufinden, ob das Shirt sowohl bei Sonnenschein draußen oder auch in einer Bar bei künstlicher Beleuchtung gut aussieht.

Der immer anspruchsvoller werdenden Kundschaft kann nun eine Art „Erlebnis-Harmonie“ geboten werden durch das sogenannte weShop* Konzept – einem intelligenten Verkaufsraum, der die virtuelle und reale Welt des Point of Sale in sich vereint. Kunden können im Geschäft auf sie zugeschnittene POS-Services in Form eines integrierten digitale Ökosystems genießen. Mit Hilfe von Beacon-Technologie werden personalisierte Dienste aktiviert und Produkte anhand RFID-Tags identifiziert, um diese auf interaktiven Spiegeldisplays darzustellen und mithilfe verbundener digitaler Systemen eine nahtlose Kaufabwicklung zu ermöglichen.

Sehen wir uns das mal am Beispiel eines realen Kunden – Ahmed – an. Ahmed spaziert an einem seiner Lieblingsläden vorbei, in diesem Moment wird er auf ein digitales Shop-Fenster aufmerksam, das ihm die aktuelle Kollektion mit bereits vorselektierten Artikeln zeigt, basierend auf seinem Käuferprofil. Ein Navigationssystem führt ihn direkt zum passenden Aufsteller und ein dort montiertes Tablet zeigt ihm die verschiedenen Farben und Styles. Der Spiegel in der Umkleide kennt seine vorangegangenen Käufe, zeigt ihm ähnliche Artikel und schlägt ihm auf Wunsch passende Kombinationen mit anderen Artikeln vor, während er Accessoire Tipps von seinem persönlichen Styleberater bekommt. Wenn ein oder mehrere Artikel, die er sich ausgesucht hat, im Laden nicht vorrätig sind, informiert ihn sein Kundenservice-Berater, wo dieser auf Lager ist und schlägt ihm eine Lieferung zu Ahmeds Appartement vor. Über ein mobiles Bezahlsystem wie Google Wallet, Samsung Pay oder Apple Pay wird seine Transaktion bargeldlos abgewickelt, und er sammelt dadurch unmittelbar Treuepunkte.

Gamification kann auch auf spielerischem Weg zu Kundenbindung führen. Verwendet man bekannte Spielelemente und –mechaniken wie Punkte, Belohnungen, Ränge, Wettkämpfe und andere unkonventionelle Anreize kann dies ein subtiler Weg zur Kundenaktivierung sein, der auch Spaß macht. Dass dieser Ansatz funktioniert, beweist uns der Erfolg von Spielen wie Candy Crush und Pokemon Go.

Bei richtiger Anwendung kann er verkaufsfördernd sein und Cross-Selling ermöglichen. Gamification im Handel basiert auf der Überzeugung, dass sogar der kleinste Anreiz Menschen dazu bringt, sich um etwas zu bemühen, das sie sonst von vornherein abgelehnt hätten. Wie zum Beispiel Nike+ Fuel und die Idee, dass höhere Ränge, bessere Trophäen und Abzeichen erreicht werden können, je mehr man schwitzt, nur um damit wiederum auf Social Media anzugeben.

Wenn wir an Filialen denken kann das Konzept der Gamification sogar beidenkbar ungeeignete Branchen angewendet werden: Banken. weFinance* verwendet Simplification und Gamification, um traditionelle Bankfilialen in moderne Point-of-Sale Räume zu verwandeln. Simplification (auf Deutsch: Vereinfachung) ermöglicht es, auf digitalen Screens ein nicht greifbares Finanzprodukt nun erfassbar zu machen, was den Kunden die Erkundung von Finanzoptionen und –angeboten ermöglicht, in dem sie diese per Fingerberührung erleben, wann und wie sie es möchten – mit oder ohne Finanzberater. Der Kunde hat die Möglichkeit, sich zwischen virtueller oder persönlicher Beratung zu entscheiden – auf Wunsch im persönlichen Beratungspod. Diese Pods können für persönliche Beratungsgespräche mit dem Berater in angenehmer Lounge-Atmosphäre genutzt werden.

Gamification kann beispielsweise auch auf Touch-Konsolen stattfinden, auf denen man eine Stadt nach verfügbaren Immobilien absuchen kann. Wenn Ahmed in die Privatkunden-Lounge seiner Bank tritt, bekommt er einen Überblick über das Gesamtangebot an Miet- und Kaufobjekten samt Vergleich, ob ein Ein-Zimmer-Apartment am Dubai Kanal bessere Erträge bringt als eine Villa auf The Palm. Hört sich vertraut an? Nein, das hier ist nicht Monopoly.

In einem Aktienanlagen-Szenario kann Ahmed virtuell gegen andere Investoren antreten und bekommt Aktienoptionen und Preise in Echtzeit. Er kann außerdem unter Verwendung seines Rangs und seiner Abzeichen abschätzen, welche Risiken und Möglichkeiten existieren, ohne jemals über seine verfügbaren finanziellen Grenzen zu gehen.

All das, samt Kundenservice über Chatbots, Warteschlangen-Management an Kassen im Supermarkt, Kameras, die Bewegungen der Kunden aufzeichnen und umwandeln, und die ewig lange und wachsende Liste an technischen Ideen und Möglichkeiten beweisen, dass der digitale Handel ein neuer Hybrid aus realer und virtueller Verkaufsfläche ist, der dem konventionellen Handel in die Zukunft antreibt mit einem Ziel: ein besseres Einkaufserlebnis für den Endkunden.

 

*WeShop und WeFinance sind digitale Handelskonzepte, die für Marken und den Finanzsektor von der Serviceplan Gruppe mit Partnern wie Cisco und Vitrashop und anderen entwickelt wurden.

Dieser Beitrag erschien in Discover ME.

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