Für das Magazin New Business hat Serviceplan Campaign Kreativchef Matthias Harbeck einige Fragen zum Cannes Lions Festival beantwortet – Ansichten zu higher purpose Aspekt, digital craft Kategorie und schillernder Parallelwelt als Motivationsquelle.

Werbung hat sich in den vergangenen Jahren hin zu verantwortungsvollerer Kommunikation gewandelt. Auch bei Wettbewerben wie in Cannes gab es viele Preise für Arbeiten mit einem higher purpose-Aspekt. Aus welchen Gründen sind diese für einen Löwen prädestinierter?
Bei uns gibt es seit ein paar Jahren einiges Geschrei darüber, dass immer mehr Cannes-Gewinner mit der Bewerbung des guten, alten Produktvorteils immer weniger zu tun haben, sondern „Social“-Themen in den Vordergrund stellen. Ich halte die Aufregung darüber für gestrig und verfehlt. Cannes spiegelt nur die gesellschaftliche Grundstimmung speziell der angelsächsischen Welt wieder, und die geht nun mal in Richtung sozialer und nachhaltiger Themen. Umweltschutz etwa war in den USA noch vor zehn Jahren ein marginales Thema, heute wird VW an den Pranger gestellt. Um beim Beispiel Auto zu bleiben: Es geht heute nicht mehr darum, wie schnell ein Auto von 0 auf 100 beschleunigt, sondern darum, wie es dazu beiträgt, die Mobilitäts- und Umweltherausforderungen von morgen zu bewältigen. Allgemein diskutieren die Menschen heute mehr über Themen wie Umwelt, Flüchtlinge, Terror, Chancengleichheit oder Integration als etwa über die Frage, wie eine bestimmte Produkteigenschaft ihnen ein angenehmeres Leben verschafft. Cannes greift diese Stimmung pointiert auf. Und deshalb haben Arbeiten mit einem higher purpose dort hohe Gewinnchancen. Zweifellos wird in manchen Juries übertrieben, indem man auch Arbeiten auszeichnet, die zwar einen higher purpose, aber keine wirklich außergewöhnliche Idee, keine wirklich faszinierende Umsetzung haben. Aber das wird sich schon einrütteln.

Für wie sinnvoll halten Sie das Festival?
Man kann Cannes viel vorwerfen. Eine Parallelwelt bunter Extra-Ideen, die nichts mit unserem harten Tagesgeschäft zu tun hat. Eine gewaltige Gelddruckmaschine, die nur die Veranstalter reich macht. Eine einzige Party eitler Selbstbeweihräucherung statt demütiger Arbeit im Dienst des Kunden. Alles richtig. Und alles falsch. Cannes ist die wichtigste Plattform für neue Ideen, die unsere Branche wirklich voranbringen. Schließlich fragt auch der konservativste Kunde einen irgendwann: Ist das alles, was Sie mir zu bieten haben? Dann: Cannes ist nicht nur eine gewaltige Gelddruckmaschine, sondern auch eine gewaltige Inspirationsmaschine. Nirgendwo auf der Welt wird man binnen einer Woche mit so vielen Ideen, so vielen Vorträgen, so vielen Gesprächen bombardiert. Davon zehrt man ein ganzes Jahr. Und das Thema Party und Preise? Beides ist neben allem Tam Tam die beste Motivation für Mitarbeiter, die man sich vorstellen kann.

In 2016 ist u.a. die Kategorie Digital Craft neu dabei. Inwiefern tragen die Cannes Lions der Digitalen Entwicklung in der Werbung mit der neuen Kategorie Rechnung?
Ich freue mich über die neue Kategorie. Denn worüber reden wir, wenn wir über Digitalisierung reden? Welche Begriffe verwenden wir? Klicks, Shares, Likes. Websites, Bewegtbild, Banner. Targeting, Conversion-Rate, ROI. Vornehmlich technische Begriffe, die bestimmte Kategorien, Funktionen und Wirkungsweisen beschreiben. Wir reden zu wenig über Schönheit. Zu wenig darüber, wie handwerklich gut etwas gemacht ist. Dabei ist genau diese Qualität gerade im Hinblick auf die Wirkung ein enormer Faktor. Gerade auch vor dem Hintergrund der begrenzten Flächen mit den vielen Informationen, mit denen man im Digitalen oft konfrontiert ist. Die Einführung der Kategorie Digital Craft setzt hier bestimmt positive Zeichen.

Mit welchem kreativen Faktor kann in Cannes ein Preis gewonnen werden (z.B. Humor, higher purpose)?
Am wichtigsten ist immer noch die Idee. Wie überraschend, wie neu wird mir etwas verkauft? Wie überraschend, wie neu ist der Insight? Ist es einfach und verständlich genug, auch für den vielzitierten Inder in der Jury, der keine Ahnung hat von deutschen Marktgegebenheiten? Ganz wichtig: Bewegt es mich? Speziell wir Deutschen haben ja immer noch so unsere Manschetten im Umgang mit Gefühlen. Higher Purpose? Hilft. Und Humor? Kann nie schaden.

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