Die Krise von Angela Merkel ist eher eine PR-Krise als eine politische Krise

Die Debatte über die Flüchtlinge hat Deutschland fest im Griff. Migranten sind das beherrschende Thema in Talkshows und Nachrichtensendungen, in Zeitungen und Foren. Für die Wähler – so sagen die Demoskopen – ist die Flüchtlingspolitik mit Abstand zum wichtigsten Thema geworden. Jetzt ist gar die unappetitliche AfD bei den jüngsten Umfragen sogar an Liberalen, Grünen und Linken vorbeigezogen und rein numerisch zur drittstärksten Partei aufgestiegen. Was ist los in Deutschland? Hat die Kanzlerin dazu beigetragen? Und wichtiger noch: Kann sie das Blatt wieder wenden?

Im Mittelpunkt der Diskussion steht die Entscheidung von Angela Merkel vom letzten September, die schwarz-rot-goldenen Grenzen für Flüchtlinge zu öffnen. Damals, im Herbst letzten Jahres, hatte die Kanzlerin kommunikativ das Heft in der Hand. Ihr Diktum „wir schaffen das“, angelehnt an Obamas Erfolgsslogan „yes we can“, signalisierte Pragmatismus, Optimismus und Entschlossenheit. Selfies der freundlich lächelnden Angela Merkel mit dankbar schauenden Syrern gingen um die Welt. Damit hatte die Kanzlerin eine perfekte Ikonografie für ihren Satz geschaffen, in Notsituationen müsse Deutschland der Welt ein freundliches Gesicht zeigen.

Natürlich blies der Kanzlerin schon unmittelbar danach ein eiskalter Sturm der Entrüstung und des Unverständnisses entgegen. Doch sie hatte es geschafft, ihre Haltung stark zugespitzt und eindeutig auf den Punkt zu bringen. Und das auch für diejenigen verständlich, für die die Regeln von Schengen, das Dublin-Abkommen, die Genfer Konvention oder die Wizegrad-Gruppe eher böhmische Dörfer als politische Landmarken sind. Angela Merkel, die oft unterschätzte Kommunikatorin, hatte zu diesem Zeitpunkt mit knappen Worten und subtilen Gesten eine kommunikative Meisterleistung abgeliefert.

Und heute? Was trägt die Kanzlerin jetzt, Monate nach ihrer historischen Entscheidung, zur tobenden Flüchtlingsdebatte bei? Wie reagiert sie auf Argumente, Briefe, Positionen, Pläne, Provokationen, Shitstorms? Sie trägt stoisch ihren bekannten Plan vor, mit ihren Meilensteinen Fluchtursachen zu bekämpfen. Die da sind: EU-Außengrenzen sichern, Flüchtlinge innerhalb der EU gerecht verteilen. Das ist politisch klug gedacht, klingt aber nach einer eher langfristigen Lösung für ein akut empfundenes Problem. Man kann glauben, dass dies irgendwann funktioniert. Man muss es aber nicht. Was die Kanzlerin vorträgt, klingt eher nach Pastorentochter und nicht nach der mächtigsten Frau der Welt. Das Hauptproblem dabei ist: Die Kanzlerin erklärt zwar, was sie für richtig hält, schweigt aber zum warum. Und sie verzichtet darauf, über Alternativen zu reden und deren Schwächen zu entlarven.

Ich halte diesen Kommunikationsstil für grob fahrlässig. Wenn sie so weitermacht, wird sie die erste Politikerin, die sich um Amt und Würden geschwiegen hat. Denn ein kommunikatives Vakuum füllt sich von alleine. Solange die Kanzlerin nicht über die Gründe ihrer Politik spricht und die Debatte treiben lässt, überlässt sie den Vereinfachern und Demagogen kampflos das kommunikative Spielfeld.

Dabei hat Angela Merkel gute Argumente für ihre Politik: humanitäre, völkerrechtliche, politische, wirtschaftliche. Es gibt so vieles, was sie den Verfechtern vermeintlich einfacher Lösungen entgegenschleudern könnte. Die Kanzlerin könnte darstellen, welche Folgen eine abrupte Schließung der Binnengrenzen für uns alle hätte. Sie könnte über das mögliche Zerbrechen der Europäischen Union, über den endgültigen Kollaps des griechischen Staates, über eine unmittelbar bevorstehende humanitäre Katastrophe mitten in Europa reden. Sie könnte über einen Einbruch der Binnenwirtschaft als Folge des kollabierenden Schengen-Systems sprechen. Oder darüber, dass Deutschland der große wirtschaftliche Profiteur eines geeinten Europas ist und unendlich viel zu verlieren hat.

Angela Merkel muss die Alternativen klar darstellen: Auf der einen Seite überfüllte Turnhallen, eine überforderte Infrastruktur, Probleme mit der Integration. Und auf der anderen Seite eine drohende Katastrophe von historischen Dimensionen. Leider scheint es derzeit, dass Angela Merkel sich kommunikativ ihren Innenministers de Maizière zum Vorbild nimmt, der anlässlich der Spiel-Absage von Hannover auf die Frage nach einer Begründung sphinxhaft meinte, ein Teil der Antworten würde die Bevölkerung verunsichern, weshalb er diese Antworten nicht geben wolle. Nun gut, von einem de Maizière erwartet auch niemand strategisch kluge kommunikative Meisterleistungen.

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