Ich liebe Radio. Sehr. Das meiner Ansicht nach sinnlichste Medium wird nun einer seiner elementarsten Grundlagen beraubt: Ubiquität.

In der Schweiz gibt es eine in Europa einzigartige Koalition öffentlich-rechtlicher und privater Radiosender, die das Ziel hat, innerhalb der nächsten zehn Jahre das analoge Antennenradio zu beenden. Das Schweizer Bundesamt für Kommunikation (BAKOM) überprüft dieses Anliegen mit Wohlwollen. Doch unabhängig vom öffentlich-rechtlichen Auftrag gibt es Argumente, parallel zu DAB+ sowie IP-Radio auch weiterhin UKW Radio anzubieten.

“Ein Mann, der was zu sagen hat und keine Zuhörer findet, ist schlimm dran. Noch schlimmer sind Zuhörer dran, die keinen finden der ihnen etwas zu sagen hat.” Bertolt Brecht (Radiotheorie, 1927 – 1932)

Eine These:

Wenn im Jahr 2024 die Schweizer Antennen keine analogen Signale mehr senden, so der Plan der Arbeitsgruppe inkl. Vertretern des SRF, werden sehr viel weniger Hörer deren Programme hören. Somit verlieren Musiker die großen Plattformen, um gehört zu werden, die Werber einen wichtigen Kommunikationskanal und viele Radiomacher ihre Existenzgrundlage. Aber zu guter Letzt verlieren vor allem die Hörer eine wichtige Ressource zur Meinungsbildung. Egal ob es um Musik, Nachrichten oder um Kaufentscheidungen geht: Es geht vor allem um einen einfachen und schnellen Zugang zu Inhalten. Um Bilder im Kopf.

Das Radio war und ist ein Social Network, das Millionen vereinen und/oder aktivieren kann. Folgt man jedoch den Vorschlägen der Schweizer Arbeitsgruppe, entzieht sich das Radio dieser immer noch großen Masse und ist dann nur noch als Digitalradio hörbar. Und zwar in Konkurrenz zu allen anderen digitalen Diensten. Die rund 20 Millionen existierenden Radiogeräte in Österreich wären also bald unbrauchbar, würde man dem Schweizer Vorhaben folgen.

Die Argumente für einen Abschied vom analogen UKW-Signal sind nachvollziehbar:

Digitales Radio ermöglicht Programmvielfalt im Sendebetrieb und Konvergenz in Richtung Multimedia. Die Folge sind Text- und Bildangebote der Radiosender sowie Bewegtbild und Interaktion mit Hörern. Nicht zu vergessen die Nutzerdaten, die man mit den Angeboten generiert.

“Mache die Dinge so einfach wie möglich, aber nicht einfacher.” Albert Einstein (1879-1955)

Doch die wohl gemeinte Vielfalt kann auch zu einer Desorientierung und somit zu einer fragmentierten Nutzung führen. Vor allem, wenn das Angebot von Technologie statt von Inhalten getrieben wird. Im Zweifelsfalle profitieren andere Anbieter an Stelle der Radiosender, z.B. Dienste wie Spotify, Google u.s.w.

Das gesprochene Wort und die Musik müssen nun der technologischen Plattform folgen. Als Musiker gehört zu werden bedeutet in Zukunft, auch Filme machen zu müssen und Games zu programmieren. The Media is the Message.

Dass eine öffentlich-rechtliche Medienanstalt den Verlust einer tatsächlich öffentlichen Wahrnehmung via UKW in Kauf nimmt, wundert mich. Sind es wirklich nur die Kosten für einen dualen Rundfunk?

„Man hatte plötzlich die Möglichkeit, allen alles zu sagen, aber man hatte, wenn man es sich überlegte, nichts zu sagen.” Bertolt Brecht (Radiotheorie, 1927 – 1932)

In Großbritannien, das vor ca. zwölf Jahren DAB+ eingeführt hat, hören die Menschen noch immer mehrheitlich analoges Radio, u.a. auch Mittelwelle (MW). Ein Abschalten der UKW Sender wäre also sowohl aus kommerzieller als auch hinsichtlich der Grundversorgung von Programmen falsch.

Mit dem Ende der größten gemeinsamen technischen Plattform (UKW) würde Radio auch seine Leitfunktion verlieren. Eine Funktion, die Menschen mehr denn je brauchen. Wir benötigen Orientierungshilfe mit schnell verfügbarem Journalismus, der tatsächlich Stimmungsbilder wiedergibt. Auch hat Radio die Funktion der kulturellen Identitätsstiftung – sowohl mit als auch ohne Quotenregelung für heimische Musik.

Das Radio existiert immer noch erfolgreich ob der Einfachheit seiner Nutzung. Die permanente Verfügbarkeit und der leichte Zugang zu analogem Radio machen es so hörenswert. Das mag durchaus auch für der Digitalradios der Geräteindustrie und Automobilbranche gelten. Doch Hören ist auch ein sinnliches Erlebnis. Musik und das gesprochene Wort sind autonom. Das Digitalradio im Auto und im Badezimmer ist längst Realität. Deren Nutzung eine andere.

Denn vor lauter Mitreden verlernen wir das Zuhören.

Die Konvergenz der Medien bestimmt meinen beruflichen Alltag seit über 15 Jahren. Visualisierung, Textierung sowie Partizipation und Kollaboration in der Kommunikation sind mein täglich Brot. Die Digitalisierung und Vernetzung verändert unsere Gesellschaft. Und ich bin Teil davon. Der Ausbau eines flächendeckenden Digitalradiostandards DAB+ ist wichtig. Auch für mich.

Doch ich fürchte, mit dem Ende des UKW-Radios werden die Hörer ihrer Bilder im Kopf beraubt.