Ulrike Schumann, Senior Texterin bei Serviceplan Suisse, ist als einzige Deutsche Mitglied der Fraueninitiative „See it, be it“ beim diesjährigen Cannes Lions Festival. Die gebürtige Berlinerin bloggt jeden Tag für den W&V goldblog. Ihre Beiträge sind auch hier zu lesen.

 

11 Freundinnen: In Cannes sind nun die Frauen am Ball

Während in Brasilien der Fussball rollt, dreht sich an der Croisette dieser Tage einmal mehr alles um möglichst runde Ideen. Der Advertising World Cup, das Cannes Lions Festival, hat gestern begonnen – und die Werbewelt ist zum 61. Mal zu Gast bei den Franzosen.

Mit von der Partie ist in diesem Jahr erstmals eine kreative Frauen-Elf, die das Festival selbst, gemeinsam mit Top-Kreativen, überall auf der Welt, gecastet hat: Talentierte Ladies aus Kolumbien, Argentinien, von den Philippinen, aus Grossbritannien, China und den USA sind in der Aufstellung gelandet. Und irgendwie auch ich – die Deutsche. Unser  Team bespielt alle kreativen Positionen: es gibt Art- und Text-Verantwortliche, Designerinnen und Kreativdirektorinnen. Gemeinsam setzen wir in den kommenden Tagen – und darüber hinaus – auf eine Taktik, um uns zukünftig noch erfolgreicher und sichtbarer in der kreativen Männerdomäne durchsetzen: Teamplay.

Gecoacht wird unser Team von „See it Be it“. Die von den Cannes Lions gezündete Initiative soll ab diesem Jahr regelmässig und langfristig dabei helfen, das Geschlechter-Ungleichgewicht in der kreativen Oberliga der Werbewelt auszubalancieren. Denn anscheinend ist diese gerade mal mit drei Prozent Frauen bestückt, während Frauen insgesamt rund 80 Prozent aller Kaufentscheidungen verantworten. Es geht „See it Be it“ also nicht ausschliesslich um Gleichberechtigung, sondern auch um die Förderung eines wirtschaftlichen Potentials: Wenn Männer auch meistens bestens zu wissen glauben, was Frauen (kaufen) wollen – Frauen wissen es garantiert besser. Sorry, Jungs.

 

cannes Frauen seeit

Teilnehmerinnen an der Frauen-Initiative „See it Be it“ im Palais des Festivals (Foto: Schumann)

 

PS: Die Parallelen zum Fussballthema in diesem Beitrag habe ich aufgrund zeitlicher Überschneidungen gewählt. Klar. Noch mehr aber, weil Frauen in der Werbung, ganz ähnlich wie im Fussball, häufig nicht nach den gleichen Kriterien wir ihre männlichen Kollegen beurteilt werden. Und viel öfter noch: belächelt. Dabei geht dann schon mal unter, was ein unumstösslicher Fakt ist: Die jüngsten deutschen Fussball-Weltmeistertitel haben die Frauen nach Hause gebracht. Sorry, Jungs.

 

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Alle meine Cannes-Rollen

Meine wirklichen Heldinnen in Cannes heißen jedoch anders: Biba Cabuquit, Jenna Livingston, Erica Pressly, Melo Xu, Angie Sun, Juliana Ardila, Celeste Dalairac, Jem Robinson, Stefanie Gianvincenzo, Cheyney Robinson und Nevidita Agashe (die leider kein Visum für die Reise erhalten hat) – die elf Ladies, die von überall auf der Welt kommen und einmal quer über diese verteilt arbeiten. Und die Senta Slingerland von den Cannes Lions wiederum für das Programm von Hand verlesen hat. Ich durfte mehr als 36 Stunden in der Gesellschaft dieser kreativen Superwomen verbringen. Und das war das wohl Inspirierendste, was mir – normalerweise bin ich keine große Freundin von Superlativen – in den letzten Monaten passiert ist. Die Frauen haben jedes einzelne Highlight auf der „See it Be it“-Agenda mit verdammt schlauen Ansichten und erfrischenden Inputs noch weiter bereichert – und den Anspruch der Initiative, mehr sichtbare weibliche Vorbilder für die Branche zu schaffen, zumindest für mich selbst schon zu 100 Prozent erfüllt.

Um ein bisschen zu konkretisieren, was auf dem „See it Be it“-Programm stand (das nächstes Jahr hoffentlich mit neuen Kandidatinnen in eine zweite Runde gehen kann) nachfolgend ein nicht-chronologischer Auszug:

Jede von uns hat mit jeweils drei erfahrenen und ganz unterschiedlichen Powerfrauen (und –herren) aus der Branche Speed-Mentorings zu individuellen Problemstellungen und Zielen gehabt.

Wir durften den Jurys beim Judgen der Arbeiten über die Schulter schauen. Und hätten es eigentlich gleich selbst machen können – die Deckungsgleichheit unserer Bewertungen mit den tatsächlichen Ergebnissen bei den Design Lions war fast schon beängstigend.

Wir haben uns in einer Session mit David Slocum von der Berlin School of Creative Leadership zusammengesetzt, der uns Tipps dazu gab, wie wir uns von erfogreichen Kreativen in welche mit Führungsqualitäten verwandeln.

Wir selbst wurden zum Teil der RePicture-Kampagne von Getty Images – einer Initiative, die dazu anregt, das Frauenbild in der Kommunikation der Realität anzupassen. Und die uns alle mit dem Vorhaben auseinander gehen ließ, tagtäglich selbst an einem realistischeren, vielschichtigeren, weniger sexistischen und klischierten Bild von Frauen zu feilen: mit unserer Arbeit.

Wir hatten eine Session mit dem großartigen Josy Paul, Chairman von BBDO in Mumbai, der uns dazu ermutigt hat, öfter auf das Bauchgefühl zu hören. Eine Gabe, die besonders Frauen nachgesagt, aber noch nie wirklich „offiziell“ gutgeheißen wurde.

Wir haben die CCO von Facebook und Autorin von „Lean In“, Sheryll Sandberg, getroffen (siehe Bild unten). Ihr Terminkalender gleicht dem von Barack Obama. Aber „See it Be it“ war ihr eine Herzensangelegenheit. Und so nahm sie uns buchstäblich an die Powerfrauen-Brust und ermunterte zum Reinhängen und –knien in alles, was uns privat wie auch jobtechnisch am Herzen liegt.

Die Zeit „zwischendrin“ wurde mit dem offiziellen Cannes-Programm, mit Interviews, Parties, Fußball, zu vielen Drinks und zu wenig Schlaf „aufgefüllt“. Mit dem iPhone hüpfte ich von WiFi zu WiFi und nebenbei in all die Rollen, die man hier eben so spielt: Kreative, Fußballfreundin, Beach Girl, Auftraggeberin, Intellektuelle, Socializing-Profi, Fashion-Tante, Tanzmaus und auch Alkoholikerin. Aber: Multitasking ist ja eines dieser Talente, die insbesondere uns Frauen nachgesagt werden.

In diesem Sinne: What’s next?!