Ich habe mich verzaubern lassen. Ehrlich gesagt, das war gar nicht so schwer, denn ich wollte ja verzaubert werden! Ein TV-Spot für kolumbianischen Kaffee: schöne Männer in spärlichen Unterhemden und mit schwarzen Locken. In der einen Hand eine Machete, in der anderen ursprüngliche, rote Kaffeebohnen, dargeboten wie Gold aus dem sagenumwobenen Eldorado. Schließlich dampfen die Bohnen, schwarzgebräunt in einem geheimnisvollen Röstritual, die so entfalteten Aromen bereit zum Genuss. Und dann: trink ich den aus einem Becher im Stehen zwischen E-Mails checken und Wetter-App. Und dabei hatte ich erst letzte Woche meinen Kollegen verspottet, weil er bei einem Trip nach Rio de Janeiro seine Reisekasse schon an der Hotelbar durchgebracht und es nicht mal bis zur Copacabana geschafft hatte. Er hätte also genauso gut in Ingolstadt bleiben können und in meinem Fall hätte eine Koffeintablette gereicht.

Was war passiert? Wir haben dem, was uns zuteil wurde, nicht die Wertschätzung entgegengebracht, die dem Premiumkaffee und dem besonderen Reiseziel zugestanden hätten. Schade, denn erst diese Wertschätzung hätte uns das volle Nutzenerlebnis verschafft – das wir ja bereits teuer bezahlt hatten!

Mich beschleicht ein ungutes Gefühl: ist die letzte Beziehung meines Freundes Oliver vielleicht an einem Mangel an Wertschätzung gescheitert? Oder Janine, die ewig unglückliche Teamassistentin von Nebenan: hat sie denn überhaupt alle Möglichkeiten erkannt, die ihr das Arbeitsumfeld ihres Jobs in einer Werbeagentur bietet? Oder steht sie sich selbst im Weg, weil es so einfach ist, sich über Missstände aufzuregen? Und andersherum: Die Agentur bezahlt Janine eigentlich ganz okay, aber warum nutzen die nicht alle ihre Fähigkeiten? Sehen sie nicht, dass sie mehr leisten kann und will? Ach ja, die Werbeagentur. Die hat große Kunden mit bedeutenden Marken. Man stelle sich nur vor, der einstige Enthusiasmus des Etatgewinns würde einer Ernüchterung weichen, in der der graue Alltag die Reize neuer Produkte, die Attraktivität sensationeller Innovationen und den Charme liebevoller Verbesserungen überschattet. Und der werbungtreibende Kunde, ist auch bei ihm der Kick, das Adrenalin der ersten gemeinsamen Erfolge verflogen? Die Routine als endlose Spaßbremse, sieben Jahre schlechter Sex als Strafe für effizienzgetriebene Abenteuer-Unlust. Traurig, wenn man trotz anfänglich überschwänglicher Bekenntnisse schließlich einander nicht voll ausgekostet hat. Wie bei Oliver, dessen neue Beziehung erfüllter sein mag – für beide Partner.

Besonders tragisch ist es übrigens dann, wenn man für Wertschätzung von außen gar nicht mehr erreichbar ist, weil man für sich selbst keine Wertschätzung mehr aufbringt. Irgendwann würde ja auch mir die Lust am liebgewordenen Premiumkaffee vergehen, wenn sich der – seiner selbst überdrüssig geworden – plötzlich in einem effizienzoptimalen Schockröstverfahren mit Billigstgarantie verramschen lässt.
Ich träume von einer Welt, in der wir wieder mehr wahrnehmen, was wir haben und was da alles drin ist. Einer Welt, in der wir den Wert der Dinge schätzen, die uns umgeben, bevor sie uns abhanden kommen.

Während ich dies schreibe, sehe ich aus dem Fenster meiner irrwitzig überteuerten Mietwohnung in München. Ich könnte mich jetzt fürchterlich aufregen über raffgierige Immobilienheuschrecken. Aber bevor ich das tue genieße ich erst einmal die Aussicht über die Dächer von Schwabing-West bis zu den Alpen. Die zwitschernden Vögel im Hof. Die fröhlich spielenden Kinder. Der appetitmachende Geruch aus der Küche des Ristorante an der Ecke. Das sympathisch wilde Gestrüpp auf dem Schauspielerbalkon gegenüber. Der graubärtige, barbäuchige Mann, der hartnäckig selbstzufrieden unter dem Apfelbaum sitzend Pfeife raucht. Nadine, die übermütig an ihren Balkongeranien zupft,  dankbar für das Vertrauen, das ihr eine tolle Agentur und ein spannender Kunde entgegenbringen.