Die gute oder schlechte Erfahrung eines Nutzers bei der Interaktion mit einem Medium – die User Experience (UX) – ist einer der wesentlichen Erfolgsfaktoren für digitale Geschäftsmodelle. Sie hat maßgeblichen Einfluss auf das Verhalten der User und Kunden. Wird die Website oder App erkundet oder wird sie verlassen bzw. gelöscht? Nutzt der der Anwender das Angebot regelmäßig, empfiehlt er es weiter, hinterlässt er eine gute Rezension? Werden Transaktionen durchgeführt? All das hängt stark von der subjektiven User Experience ab.
Die Performance digitaler Medien wird traditionell mit technischen Metriken wie Page Impressions, Verweildauern oder Conversion Rates überwacht. Diese bilden das Verhalten der User auf dem Angebot ab. Was sie nicht können, ist das plattformübergreifende Verhalten der User sowie ihr Verhalten außerhalb des Mediums vorherzusagen. Eine gute oder suboptimale User Experience beeinflusst aber nicht nur die unmittelbare Verwendung des Mediums, sondern auch Markenwahrnehmung und Empfehlungsverhalten. Es lohnt sich also, diese Größe dem Kanon der Key Performance Indikatoren (KPI) hinzuzufügen und sie regelmäßig zu erheben. Um Ursachen und Wirkungen zu verstehen, ist es sinnvoll, ein Wirkmodell der User Experience zugrunde zu legen.


Das User-Experience-Modell von Facit Digital


In diesem lässt sich das Konstrukt der User Experience mit einer Reihe von Indikatoren gut eingrenzen. An erster Stelle steht die Zufriedenheit der User mit dem Angebot, die gut skaliert abgefragt werden kann. Daneben ist die sogenannte Joy of use ein wichtiger Anhaltspunkt für eine positive Erfahrung. Hierzu muss man zwischen Spaß (fun) und Freude (joy) unterscheiden. Spaß im Sinne von Unterhaltung ist bei Joy of use weniger gemeint als Freude bei der Nutzung. Diese entsteht beim User dann, wenn dessen Nutzungsziele durch das Medium einfach und auf angenehme Weise erreicht werden, wenn durch ein nahtloses Wechselspiel von Bedienung und Systemfeedback ein flüssiger Dialog entsteht und wenn gesuchte Informationen auf innovative, kluge Weise vermittelt werden. Die größte Freude bereiten Nutzern Erfolgserlebnisse. Daher ist ein Interaktionsdesign, das den Anwender effektiv und effizient durch die verschiedenen Usecases führt, die beste Voraussetzung für nachhaltigen Joy of use. Ein weiterer Indikator ist die subjektive Einfachheit relevanter Usecases. Auch diese kann gut über eine Befragung gemessen werden, indem vorgegebene Usecases von den Teilnehmern der Befragung bewertet werden.

Für eine gute User Experience wird eine Reihe von Eigenschaften des User Interfaces ganz besonders verantwortlich gemacht. Für diese Key Performance Indikatoren des UI ist wiederum die subjektive Wahrnehmung durch die Nutzer ausschlaggebend.

•    Utility: Subjektiver Nutzwert der Inhalte und Funktionen für die jeweilige Zielgruppe
•    Accessibility: Zugänglichkeit und Kompatibilität, subjektiv empfundene Performance und Ladezeiten sowie Eignung für das Endgerät des Users
•    Usability: Effektive, effiziente und somit zufriedenstellende individuelle Zielerreichung
•    Ästhetik: Optische Attraktivität für die Zielgruppe
•    Erfüllung des (innerhalb oder außerhalb des Mediums gegebenen) Markenversprechens sowie der Erwartungen der User. Dieser Faktor stellt eine besondere Herausforderung dar. Oft wird das User Interface bei Kunden mit dem Produkt selbst gleichgesetzt. Im Moment der Interaktion mit dem UI entscheidet sich, ob die Claims des Produkts oder der Marke (wie z.B. Einfachheit, Innovation, „Premiumanspruch“, Sicherheit) erfüllt werden. Nutzererwartung und Produktversprechen sind also – zwischen verschiedenen Apps oder Websites höchst unterschiedliche – Einflussfaktoren für die User Experience.

Neben Eigenschaften des User Interface an sich haben auch externe Größen wie Markenkommunikation, Aktivitäten der Wettbewerber oder Produkteigenschaften Einfluss auf Erfahrung und Zufriedenheit der User mit dem Medium.
Einladung zu einem User-Experience-Tracking über eine Onlineumfrage


Für die Messung der Nutzungserfahrung gibt es zahlreiche Ansätze. Einer der effektivsten ist die Befragung der Nutzer über einen Onlinefragebogen. Die richtigen Fragen auf die richtige Weise gestellt, erlaubt sie ein effizientes, dauerhaftes User-Experience-Tracking, das als Frühwarnsystem für etwaigen Handlungsbedarf genutzt werden kann. Bei der Planung einer solchen UX-Evaluation sollten folgende Punkte beachtet werden:

•    Idealerweise werden zufällig ausgewählte Nutzer während oder direkt nach der Nutzung zur Teilnahme aktiv eingeladen, um sicherzustellen, dass die tatsächliche Erfahrung mit dem Medium bewertet wird. Dies kann z.B. über ein Layer geschehen. Eine Befragung von Personen, die vor längerer Zeit mit dem Angebot in Berührung kamen, eignet sich weniger, da in der Wahrnehmung der Befragten hier andere Aspekte wie das allgemeine Markenbild in den Vordergrund treten.
•    Anreiz: Die Teilnahme an einer UX-Evaluation per Onlinebefragung sollte immer incentiviert werden, z.B. über ein Gewinnspiel. Besonders zufriedene und unzufriedene User sind immer motiviert, ihre Meinung loszuwerden. Ein attraktiver Gewinn als Anreiz nivelliert diese Tendenz und führt zu repräsentativeren Messungen. Als Gewinn eignet sich am besten Bargeld, da es auf alle den gleichen Anreiz ausübt. Wenn Sie ein iPad verlosen, haben iPad-Besitzer wenig Motivation mitzumachen.
•    Dauer: Die Befragung sollte möglichst kurz sein, da durch Befragungsabbrecher systematische Messfehler auftreten können und die User Ihrer Website oder App in der Summe belästigt werden. Die maximal mögliche Dauer schwankt je nach Involvement der User und kann zwischen zwei und zehn Minuten liegen.
•    Stichprobe: Um verlässliche Messungen zu ermöglichen, sollten je Welle mindestens 200, idealerweise bis zu 1000 Personen befragt werden. Um Zufriedenheiten unterschiedlicher Nutzergruppen zu untersuchen, können u.U. noch größere Stichproben sinnvoll sein.
•    Vergleichswerte: Ist eine Usability von 73 von 100 Punkten gut oder schlecht? Wie bei allen Metriken braucht man für die Interpretation der gemessenen UX- und UI-Werte einen Vergleichsmaßstab. Möglich sind Vorher-Nachher-Messungen (z.B. bei einem neuen Release), Vergleiche mit Benchmark-Werten, Vergleiche mit der Performance von Wettbewerbern oder eine AB-Messung, bei welcher der Traffic zwischen zwei alternativen Websitevarianten aufgeteilt wird und dem Fragebogen die Variante übergeben wird.
•    Kontext: User mit mobilen Endgeräten sollten einen gekürzten Fragebogen mit angepasstem Layout erhalten.
•    Sicherheit und Datenschutz: Je nach Nutzerschaft und Testgegenstand kann ein SSL-verschlüsselter Fragebogen sinnvoll sein. Hinweise zum Umgang mit den Daten, Teilnahmebedingungen sowie ein Impressum müssen den Probanden vor der Teilnahme bereitstehen, auch um rechtliche Risiken für den Betreiber auszuschließen.
•    Nutzer zu Wort kommen lassen: Anders als andere Metriken erlaubt eine UX-Messung per Onlinebefragung auch offene Feedbacks. Über eine ungestützte Abfrage von Verbesserungswünschen können oft erstaunlich tiefgehende qualitative Einblicke gewonnen werden, die sehr brauchbare Grundlagen für Optimierungsansätze liefern.
•    Experten machen lassen: Für eine effiziente und unmissverständliche Frageformulierung und ein methodisch korrektes Setup empfiehlt sich die Konsultation von Spezialisten für quantitative User-Experience-Forschung. Sie stellen die nötigen Messmodelle bereit, vermeiden methodischer Fallstricke (z.B. durch Randomisierung von Fragen), berechnen statistische Kennwerte und helfen Ihnen bei der Deutung der Befunde.


Idealerweise sollte die Nutzerzufriedenheit im Rahmen eines User Experience Trackings kontinuierlich erhoben werden. Dies kann entweder in Wellen (z.B. halbjährlich) oder über einen „homöopathischen“ Ansatz geschehen. Bei diesem wird dauerhaft ein so geringer Prozentsatz von Usern zur Teilnahme eingeladen, dass die Mehrheit der Besucher die Erhebung gar nicht bemerkt. Die Daten werden dann quartalsweise aggregiert und berichtet. Durch die dauerhafte Erhebung kann der Faktor UX gemeinsam mit anderen Metriken in ein KPI-System integriert werden und fundierte Entscheidungsgrundlagen liefern. Alternativ zum Tracking kann eine klassische Vorher-Nachher-Messung durchgeführt werden, z.B. als Erfolgsmessung eines Relaunches.

Neben der Selbstauskunft der Anwender in einer Befragung gibt es noch zahlreiche weitere Messmethoden, die mehr oder weniger indirekt das Konstrukt Nutzungserfahrung widergeben.
Verhaltensmaße bilden tatsächliches Nutzerverhalten ab und sind in unserem User-Experience-Modell v.a. auf Seiten der Konsequenzen der User Experience zu finden. Technische Maße wie die Conversion Rate und Umsatz pro Nutzer werden von der Nutzungserfahrung beeinflusst. Nutzungstiefe und –breite lassen sich über die Anzahl der besuchten Seiten oder die Verweildauer erfassen. Leider sind diese Maße hinsichtlich ihrer Aussage nicht eindeutig, da eine lange Verweildauer auch darauf hindeuten kann, dass Inhalte erst nach langer Suche gefunden werden und dazu viele Seiten irrtümlich aufgerufen werden.

Ein weiteres Verhaltensmaß ist das Blickverhalten des Users, das im User-Experience-Labor apparativ mit einem sogenannten Eye-Tracker gemessen werden kann. Das Blickverhalten lässt Rückschlüsse über die User Experience eines Nutzers und die Usability eines User Interfaces zu, wobei die Interpretation jedoch anspruchsvoll ist. So kann z.B. die Dauer bis zur Entdeckung bestimmter UI-Elemente einen Hinweis auf die Effizienz der Benutzung liefern. Eye-Tracking wird heute oft standardmäßig beim Usability-Test von Apps und Websites im Labor eingesetzt.

Messung des Blickverhaltens auf einer Website mit einem Eye-Tracker


Ein interessanter Ansatz ist die Messung von Erfolgsraten bei vorgegebenen Usecases. Diese kann auch anhand von Klickprototypen vor einem Lauch erfolgen. Dabei werden einer Stichprobe von mehreren Hundert Probanden online Aufgaben gestellt, die sie auf einer Website zu lösen versuchen. Der Anteil der erfolgreichen User und die Dauer bis zur Lösung werden gemessen und liefern Hinweise auf Usabilityprobleme, die zu einer suboptimalen User Experience führen können.

Auch ohne Einrichtung spezieller Messsysteme lassen sich Hinweise auf die Wahrnehmung von Websites und Apps durch die User finden. Qualitative Social-Media-Analysen destillieren aus Foren und App-Stores die Rezensionen heraus, die Rückschlüsse auf allgemeine Nutzungserfahrung und KPI wie Usability und Utility zulassen. Die Ergebnisse können direkt zur Optimierung eingesetzt werden, eignen sich aber nur bedingt zum metrischen UX-Tracking.

Um verborgenen, nicht verbalisierten Wünschen und Bedürfnissen von Nutzern auf die Spur zu kommen, wird zunehmend versucht, physiologische Messverfahren einzusetzen. Dabei werden z.B. Hautleitfähigkeit, Sauerstoffsättigung des Bluts, Gehirnströme oder kleinste Gesichtsausdrücke gemessen, um das emotionale Geschehen eines Users während der Interaktion mit einer Applikation oder Website einzufangen. Gemeinsam ist diesen aufwendigen Ansätzen, dass oft unklar ist, was die gemessenen Werte eigentlich aussagen und ob sie im Einzelfall Hinweise auf Nutzungshürden liefern, die nicht auch über Beobachtung oder Befragung gewonnen werden können. Hier muss noch Entwicklungsarbeit geleistet werden, um diese Tools für die User-Experience-Messung alltagstauglich zu machen.
Je nach Einsatzzweck stellt die User-Experience-Forschung also viele Ansätze zur systematischen Erfassung der Nutzungserfahrung und der Performance von Frontends bereit. Die gewonnenen Werte sind die Grundlage für ein nutzerorientiertes Management digitaler Kanäle, und sie weisen über das User Interface hinaus. Eine gute User Experience mit einem interaktiven Medium ist Basis für Kundenbindung, Markenbildung und zukünftiges Verhalten wie Empfehlung und Wiederkehr und somit relevant für nachhaltigen Erfolg.