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Anna Gauto, Redakteurin beim Magazin forum Nachhaltig Wirtschaften, sprach mit Pavan Sukhdev und Florian Haller über Werbung und Nachhaltigkeit. Pavan Sukhdev ist ehemaliger Deutsche Bank-Manager und Gründer der Nachhaltigkeitskampagne Corporation 2020. Er möchte Werbung am liebsten regulieren. Florian Haller ist CEO der größten Werbeagentur Europas, der Serviceplan Gruppe. Für ihn ist Werbung weder moralisch noch unmoralisch. Beide werden auch auf der SusCon 2012 in Bonn sprechen.
Anna Gauto:Werbung tut, was man ihr aufträgt. Ist Werbung unschuldig?
Florian Haller: Werbung ist nicht unschuldig. Sie verantwortet die Wahrnehmung einer Marke. Unsere Aufgabe ist es, sie in dieser Hinsicht zu beraten und zu führen. Deshalb kann Werbung nicht unschuldig sein.
Pavan Sukhdev: Werbung ist definitiv nicht unschuldig. Werber stellen sich gern als Fachleute dar, die nur die Wünsche ihrer Kunden erfüllen. Um aber das System rücksichtslosen Konsums zu durchbrechen, müssen sich sowohl Werbeagenturen als auch die Unternehmen, die sie beauftragen, über die Botschaften Gedanken machen, die sie kommunizieren.
Unternehmen setzen Nachhaltigkeit heute effektiv für Werbezwecke ein. Wie wurde Nachhaltigkeit zum Prestigethema?
Haller: Der Trend zu einer nachhaltigeren Lebensweise geht von den Menschen aus, nicht von den Unternehmen. Weil die Menschen diese Sehnsucht haben, nutzen gut geführte Marken diesen Megatrend als Geschäftschance.
Sukhdev: Wir müssen vielen hart arbeitenden Schriftstellern, Wissenschaftlern, Unternehmern und Bürgern danken, dass Umweltbelange relevant geworden sind. Weshalb aber das Wort Nachhaltigkeit so populär ist, ist mir ein Rätsel. Nur selten wird es korrekt verwendet. Eigentlich beschreibt es Aktivitäten, die über Jahrhunderte Wirkung entfalten. Unternehmen sollten Rechenschaft ablegen müssen, wenn sie für sich beanspruchen, nachhaltig zu sein. Deshalb ist eine Standardisierung und Regulierung von Ratings, Rankings und Gütesiegeln nötig.
Zigarettenwerbung zeigt: Gut verkaufen heißt nicht automatische Gutes zu verkaufen. Braucht Werbung ein Gewissen?
Haller: Werbung per se ist ein Instrument, das man so oder so nutzen kann. Deshalb ist Werbung als solche auch weder moralisch noch unmoralisch. Aber Werbung ist ein starkes Instrument, um ein moralisches Anliegen in eine Geschäftschance zu verwandeln.
Sukhdev: Werbung braucht ein Gewissen, aber wir dürfen es nicht der Industrie überlassen, dieses Gewissen allein zu entwickeln. Wir müssen uns genauer fragen, welche Werbetechniken maßlos in die Irre führen und welche Arten von Angaben auf Produktverpackungen stehen sollten.
Immer mehr Menschen wollen ökologische Produkte. Was hat das Verhalten der Verbraucher verändert, Reklame – oder hat Werbung umgekehrt die Verbraucher beeinflusst?
Haller: Ich glaube, dass wir den Einfluss der Werbung nicht überschätzen dürfen. Das Bedürfnis nach Nachhaltigkeit haben Berichte über Klimawandel und Artenschutz sowie viele Lebensmittelskandale geprägt. Seit zwei Jahren untersuchen wir mit dem Sustainability Image Score, welche Unternehmen in Deutschland als nachhaltig wahrgenommen werden. Wir können damit den Einfluss der öffentlichen Wahrnehmung von der Nachhaltigkeit eines Unternehmens auf den Markenmehrwert und somit auf den unternehmerischen Erfolg darstellen. Eine wichtige Erkenntnis ist, dass Unternehmen heute die Chance nutzen sollten, Nachhaltigkeit nicht nur zu praktizieren, sondern intensiv und professionell darüber zu reden, um damit auch bei den Verbrauchern zu punkten. Lasst daher Taten Worte folgen.
Sukhdev: Im Hinblick auf die zunehmende Diskussion über Nachhaltigkeit haben die Konsumenten viel mehr Einfluss auf Werbung, als umgekehrt. Beide sollten sich gegenseitig bestärken.
„Greenwashing“ bedeutet ökologisches Verantwortungsbewusstsein nur vorzugaukeln, um Kunden zu gewinnen. Sollte Greenwashing reguliert oder verboten werden?
Haller: Werbung muss authentisch sein, sonst funktioniert sie nicht. Das hängt unter anderem mit dem hohen Einfluss des Internets zusammen. In der Medienwelt von heute werden Werbelügen gerade im sensiblen Feld der Nachhaltigkeit sofort entdeckt und in Shitstorms verwandelt. Außerdem gibt es zumindest in Deutschland ein Wettbewerbsrecht, das unlauteren Wettbewerb durch unzulässige Aussagen reguliert. Ich habe nicht das Gefühl, dass wir mehr Regulierung brauchen.
Sukhdev: Greenwashing gehört definitiv reguliert. Allerdings ist das nicht so leicht, denn es ist nicht immer klar, wann genau wir es mit Greenwashing zu tun haben. Werbeagenturen sollten jedenfalls eine „No Greenwashing“-Linie fahren, was einige bereits tun. Unternehmen sollten daher gesetzlich dazu verpflichtet werden, ihre Werbeaussagen zu belegen.
Der Greenwashing-Vorwurf lässt auch Unternehmen verstummen, die tatsächlich nachhaltig wirtschaften wollen. Besonders wenn sie erst damit beginnen, in Nachhaltigkeit zu investieren, ist noch nicht jeder Prozess ausgereift. Wie können wir diese Dynamik verhindern?
Haller: Zum einen, indem wir Werbung nicht als kapitalistisches Teufelszeug verbrämen. Sondern als ein legitimes und mächtiges Instrument, um die Menschen auch für das Thema „Nachhaltigkeit” zu sensibilisieren. Zum anderen, indem wir immer wieder darauf hinweisen, dass Greenwashing keine intelligente Kommunikationsstrategie ist.
Sukhdev: Durch eine Standardisierung von Ratings und Zertifikaten. Die Stimmen von guten Unternehmen müssen durch den Lärm dringen können. Sie müssen Anerkennung für ihre innovative und verantwortungsvolle Arbeit erhalten.
1990 wurde Tabakwerbung in Neuseeland verboten. In der Folge sank der Umsatz um 7,5 Prozent. Belegt das die Effektivität von Verboten?
Haller: Ich kenne andere Zahlen, die das Gegenteil belegen. Traue also keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast.
Sukhdev: Die Ergebnisse von Regulierung dürften von Land zu Land unterschiedlich sein. Aber das Beispiel zeigt sicherlich, dass Regulierung sich sofort positiv bemerkbar machen kann. Tabakkonsum bringt immense versteckte Gesundheitskosten mit sich, die zu großen Teilen der Steuerzahler trägt. Deshalb begrenzt eine Regulierung von Produkten wie Tabak keineswegs die Freiheit Einzelner. Regulierung ist eher ein Instrument, mit dem Regierungen negative Folgen für die Gesellschaft reduzieren können.
Im Jahr 2007 hat Sao Paolo Werbung im Stadtbild verboten, um die „visuelle Umweltverschmutzung“ zu bekämpfen. Ist eine Metropole ohne Leuchttafeln und Plakate ein Modell für die Welt oder Bevormundung?
Haller: Ich finde, dass eine Welt ohne Werbung ein ganzes Stück grauer und damit trauriger wird. Fahren Sie einmal durch die Innenstadt von Minsk. Sie werden sehen, was ich meine.
Sukhdev: Der Fall Sao Paulo ist sehr interessant. Dort ist praktisch jegliche Outdoor-Werbung untersagt. Selbst der Leiter einer der größten Werbeagenturen war damit einverstanden. Er sah, dass es besser ist, neue Werbestrategien zu entwickeln, als die Stadt einfach wie bislang in Ramsch zu kleiden.
Werbung macht aus Wünschen Bedürfnisse, stimmen Sie zu?
Haller: Wenn Sie damit meinen, dass Werbung die Menschen unterschwellig in unkontrollierbare Scheinbedürfnisse treibt, bin ich nicht dieser Meinung. Wir erkennen Bedürfnisse der Menschen und befriedigen sie. Diese Bedürfnisse sind meist emotionaler Natur und nicht rational. So wie wir Menschen eben sind.
Sukhdev: Werbung arbeitet mit der Unsicherheit der Menschen. Sie nutzt ihre Ängste, Wünsche und den sozialen Druck unter dem sie stehen, und sagt ihnen, dass sie ein bestimmtes Produkt wollen. Manchmal geht Reklame sogar noch weiter und flößt ihnen ein, dass sie ein Produkt brauchen. Die Leute sind sich kaum bewusst, wie irrational diese vermeintlichen Bedürfnisse sind. Weil sie damit aber Konsum und Wirtschaftswachstum befeuern, beschweren sich weder Unternehmen noch Regierungen. Es liegt auf der Hand, dass dieses System nicht nachhaltig ist.
Nach Auffassung von Jochen Zeitz, dem ehemaliger Vorstandsvorsitzenden von PUMA, ist es Aufgabe der Unternehmen, Konsumdenken in Richtung Nachhaltigkeit zu lenken. Schließlich hätten Unternehmen Konsumdenken erst erfunden. Stimmt das?
Haller: Ja.
Sukhdev: Es liegt in der Hand von Unternehmen, Verbrauchern, Regierungen und Zivilgesellschaft. Aber Unternehmen sind die treibende Kraft hinter dem nicht nachhaltigen Wirtschaftssystem, in dem wir uns befinden. Daher tragen sie große Verantwortung, bessere Produkte herzustellen, sie verantwortungsvoll zu bewerben und Konsumenten zu ermutigen, die richtige Wahl zu treffen.
Unternehmen veröffentlichen Nachhaltigkeitsberichte und Zertifikate, um ihre Glaubwürdigkeit zu stärken. Ist das genug?
Haller: Nein. Ich habe nichts gegen Nachhaltigkeitsberichte und Gütesiegel. Sie können eine Nachhaltigkeitsstrategie glaubwürdig machen. Aber am Ende des Tages müssen wir die Herzen der Menschen gewinnen. Und die sind eben emotional.
Sukhdev: Wer sich intensiver mit Nachhaltigkeitsberichten befasst, weiß, wie unzureichend sie sind. Viele veröffentlichen jährlich nicht einmal die gleichen Statistiken [um Vergleichbarkeit zu ermöglichen – Anmerkung der Red.]. Im Wesentlichen sind Nachhaltigkeitsberichte nichts anderes als PR mit schönen Fotos. Sie sollten vielmehr sein, wie die Finanzberichte, die Unternehmen jedes Jahr herausgeben. Die von PUMA herausgegebene „Umwelt Gewinn -und Verlustrechnung“ zeigt, in welche Richtung wir uns bewegen müssen. Sie enthält auf einer Seite mehr Informationen als die meisten anderen Nachhaltigkeitsberichte.
Besonders große Unternehmen geben riesige Summen für Werbung und Öffentlichkeitsarbeit aus. Ist das Geld gut angelegt?
Haller: Eine Nachhaltigkeitsstrategie, die nicht durch Kommunikation nach außen zu den Menschen getragen wird, verpufft. Ich glaube, dass Nachhaltigkeit nur nachhaltig ist, wenn sie auch als Geschäftschance und nicht als Mäzenatentum verstanden wird.
Sukhdev: Aus Sicht reiner Gewinnmaximierung ist das wohl so. Unternehmen glauben, dass Werbung eine gute Investition ist, sonst würden sie dafür kein Geld ausgeben. Dabei wissen viele Unternehmen gar nicht, wie erfolgreich ihre Kampagnen sind, weil die Evaluierung von Werbewirksamkeit erst in den Kinderschuhen steckt. Vom sozialen Standpunkt her, verursacht Werbung alle Arten von Schäden für die Verbraucher, für die die meisten Unternehmen keine Verantwortung übernehmen.